Die Raumfahrtbehörden Russlands und der USA, Roskosmos und Nasa, betrachten die Mond- und Mars-Erschließung als eines ihrer großen Forschungsziele. Ist die Menschheit dazu bereit?
„Warum wir auf den Mond fliegen? Vor allem betrachten wir und die USA Mondstationen als eine Art Testplattform für die Entwicklung von Technologien, die für den künftigen Mars-Flug nötig wären“, sagte der russische Arzt und Kosmonaut Oleg Kotow gegenüber russischen Medien. „Alle Szenarien für seine Erschließung stützen sich genau auf diese Konzeption.“
Internationaler Mond-Park mit Shuttle-Raumschiffen
Zum ersten Mal wurde über die mögliche Bildung einer „ISS-Schwester“ in der Mondumlaufbahn im Herbst 2016 gesprochen – nach einem Treffen der Internationalen Gruppe für Raumschiffentwicklung (ISCWG) hinter verschlossenen Türen.
Im September 2017 bestätigten Vertreter von Roskosmos und Nasa diese Pläne und unterzeichneten ein Memorandum über das Zusammenwirken bei der Entwicklung der Mondstation LOP-G. Russland soll das Schleusenmodul der künftigen Raumstation entwickeln.
Ihr Bau sollte in den mittleren 2020er Jahren beginnen. Dann könnten die Seiten über die Entwicklung von Pendel-Raumschiffen verhandeln, die Menschen und Roboter auf den Mond befördern würden. Nicht ausgeschlossen wäre auch der Bau einer ständig funktionierenden bemannten Mondstation.
Dennoch gerieten die schon begonnenen Verhandlungen in eine Sackgasse, teilte der russische Vizepremier Dmitri Rogosin im September 2018 mit.
Ein Teil der Kontroversen konnte im Oktober vom Tisch geräumt werden, als der neue Nasa-Chef Jim Bridenstine Moskau und den Weltraumbahnhof Baikonur besuchte.
Er betonte damals, dass die Entwicklung der Mondstation ohne Mitwirkung von Roskosmos sowie anderer Partner unmöglich wäre. Mehr noch: Bridenstine versprach, dass die Standards, auf deren Basis LOP-G zu entwickeln wäre, offen bleiben würden, und lud alle Interessenten ein, daran teilzunehmen.
Zu ihnen gehört auch das russische Institut für medizinische und biologische Probleme bei der Russischen Akademie der Wissenschaften.
„Wir arbeiten nicht nur an der Versorgung der aktuellen ISS-Flüge, sondern denken auch an die langfristige Entwicklung der Raumfahrt“, sagte der Leiter des Instituts, Akademiemitglied Oleg Orlow. „In diesem Jahr wurde in Russland eine klare Entwicklungsstrategie formuliert, vor allem ist sie mit der Monderschließung verbunden.“
Orlow zufolge geht es dabei nicht nur um die Wiederholung dessen, was US-Astronauten im Rahmen des „Apollo“-Programms einst getan hatten, sondern um die allmähliche Erschließung des Mondes, wobei neueste technologische Errungenschaften zum Einsatz kommen sollten. Denn irgendwann kämen Flüge in den so genannten „fernen Weltraum“ infrage.
Der Weg zum Mond
Um diesen großen Ansprüchen gerecht zu werden, müssten nicht nur neue Typen von Trägerraketen entwickelt werden, die Elemente der künftigen Mondstation ins All transportieren würden. Man müsste auch verstehen, wie das Leben außerhalb der Erde die Gesundheit der LOP-G-Besatzung beeinflussen würde. Denn einige der neuesten Experimente russischer und auch ausländischer Forscher ergaben, dass Weltraumstrahlen nicht nur die Krebsentwicklung bei Menschen und Tieren wahrscheinlicher machen, sondern auch das Gehirn stark beschädigen könnten.
Antwort auf einige Fragen könnten die russischen Forscher und ihre ausländischen Partner schon in absehbarer Zeit bekommen, und zwar im Rahmen der Experimente auf den Biosatelliten „Bion-M“ und „Bion-M2“. Orlow zufolge wurde das letztere Forschungsprogramm im Hinblick auf künftige Raumflüge erstellt. „Die Ergebnisse der ersten ‚Bion‘-Mission waren sehr beunruhigend. Sie zeugten davon, dass Raumflüge nicht nur den physiologischen Zustand der Tiere verändern, sondern auch tiefere Strukturen auf molekularer und genetischer Ebene“, ergänzte seinerseits „Bion“-Programmleiter Wladimir Sytschow. Nach seinen Worten sollen in den mittleren bzw. späten 2020er Jahren etwa 20 Mäuse für eine längere Zeit ins All geschickt werden; ihr Flug wäre mit einem Mondflug vergleichbar.
Neben Experimenten im Weltraum werden solche aber auch auf der Erde durchgeführt, an denen sich Experten des Instituts für medizinische und biologische Probleme und ihre Kollegen vom Vereinigten Institut für Kernforschungen in Dubna (Gebiet Moskau) beteiligen. Und vor kurzem traten Nasa-Vertreter mit der Initiative auf, die Kräfte zu bündeln und gemeinsame Programme auf diesem Gebiet umzusetzen.
Wie Experte Kotow erläuterte, sind diese Experimente sowohl für die Nasa als auch für Roskosmos „kritisch wichtig“, und zwar aus einem Grund: Dadurch können technische Kriterien für den Bau von Komponenten der Raumstation formuliert werden, damit ihre Besatzung vor Weltraumstrahlung geschützt werden kann.
„Um gewisse Standards und Normen zu bestimmen, muss man genau verstehen, wie die Strahlung den menschlichen Organismus beeinflusst. Man muss das Spektrum der Strahlungswirkung und genaue Dosen kennen“, betonte der Kosmonaut.
Nach seinen Worten sind dabei die beim ISS-Betrieb gesammelten Erfahrungen enorm wichtig, was die Anforderungen an den Gesundheitszustand, an die Charakteristiken der Umgebung usw. angeht. „Darüber hinaus haben wir gemeinsame Normen der Röntgen- und Sonnenstrahlung. Es bleiben nur noch die Weltraumstrahlen, die wir noch gemeinsam erforschen müssen. Von der Antwort auf diese Frage hängt es ab, ob wir zum Mars fliegen können oder nicht“, so Oleg Kotow.
Akademiemitglied Orlow fügte seinerseits hinzu, dass es vorerst unklar sei, über welchen Weg die Raumfahrer zum Mond fliegen werden. Denn die Strahlungsbelastung könne auf verschiedenen Flugbahnen sehr unterschiedlich sein, nämlich wegen Strahlungsgürteln, Sonneneruptionen usw.
Bis 2030 sind etliche Experimente geplant, und wenn sie durchgeführt worden sind, könnte der erste Flug eines russischen Kosmonauten zum Mond stattfinden. Aber das wäre noch nicht das Ende: Dann wären noch umfassendere Experimente nötig, damit ein Mars-Flug zustande kommen kann.
Gärten auf dem Mond
Das große Interesse der russischen Forscher gilt dem Mondstaub, sagte dazu Experte Sytschow. Nach seinen Worten ist vorerst nicht ganz klar, inwieweit er toxisch ist, ob er für die Züchtung von Pflanzen geeignet wäre usw. „Auf unsere Bitte wird die Sonde ‚Luna-28‘nicht nur Muster von Mondgrund, sondern auch von Mondstaub zur Erde bringen. Unsere Forscher bekommen dann die Möglichkeit, seine Struktur und chemische Zusammensetzung zu analysieren“, erläuterte Sytschow.
Oleg Kotow fügte hinzu, dass es sich dabei vorerst um rein theoretische – und nicht praktische – Kenntnisse handele: Weder die Russen noch die Amerikaner wollen „Gärten auf dem Mond“ anbauen, betonte er. In der ersten Phase der Monderschließung wird es nach seinen Worten um die Entwicklung bzw. Vervollkommnung von Lebensversorgungssystemen gehen.
Für solche Tests wäre das Gewächshaus „Lada“ sehr nützlich, das im Dezember 2016 zur ISS starten sollte. Aber dieser Start des Frachtraumschiffs „Progress“ scheiterte, und danach wurde beschlossen, das Gewächshaus nicht mehr wiederherzustellen. „Für die Entwicklung eines neuen Gewächshauses bräuchten wir mindestens fünf Jahre, und deshalb wäre sein Bau im Grunde sinnlos: Es könnte sein, dass wir diese Arbeit gerade dann beenden würden, wenn die ISS außer Betrieb gesetzt wird“, bedauerte der Leiter des „Bion“-Projekts, Wladimir Sytschow.
Allerdings wäre die Einrichtung eines Gewächshauses an Bord der künftigen Mondstation nach seiner Auffassung durchaus machbar. Jedenfalls gehört das zu den Plänen der Amerikaner.
Oleg Kotow teilte mit, dass russische Experten aktuell mit ihren Nasa-Kollegen über gemeinsame Experimente mit dem Gewächshaus Veggie im amerikanischen ISS-Segment verhandeln. „Wir haben zwar noch keine Vereinbarungen, aber wir würden sie gerne treffen. Wie unsere gemeinsamen Experimente an Mäusen zeigen, sind Forschungen an Bord der ISS viel billiger als an Bord von autonomen Raumgeräten wie ‚Bion‘“, betonte der Weltraumarzt.
Gemeinsame Experimente dieser Art könnten auch die Antwort auf die Frage geben: Wie können irdische Lebewesen die Gravitation auf dem Mond oder auf dem Mars ertragen? Denn weder auf der Erde noch im Weltall gebe es passende Bedingungen, während man an Bord der ISS nur eine Zentrifuge aufstellen müsste“, ergänzte Kotow.
Auf die Frage, ob es demnächst zu einem „Mond-Wettrennen“ kommen könnte, sagte er: Jedenfalls könnten solche Großprojekte nur gemeinsam umgesetzt werden, denn weder Russland noch die USA, noch die EU oder China wären in der Lage, sie im Alleingang zu schaffen.
„Man kann offen sagen: Russland kann nicht den Mond selbstständig erschließen. Wer anders denkt, vergisst, dass es um eine niedrige Erdumlaufbahn geht. Die Amerikaner und auch unsere anderen Partner sind schon längst zu dem Schluss gekommen: Man kann nicht die Infrastruktur – die ISS oder sonst etwas – aufrechterhalten und zudem noch das Mondforschungsprogramm umsetzen. Deshalb laden sie uns und auch andere Interessenten gerne ein“, betonte Kotow, der selbst drei Raumflüge hinter sich hat.
Jedenfalls könnten einzelne Länder die Erfolge des einstigen „Apollo“-Programms bestenfalls nur wiederholen. Deshalb wäre es besser, die Kräfte zwecks Entwicklung von LOP-G zu bündeln und dieses Projekt dem russischen Monderschließungsprogramm anzupassen, zeigte sich der Raumfahrer überzeugt.
„Wir haben da etwas zu bieten: Russland entwickelt seine Start- und Landungssysteme für den Mond, sein Transportsystem, unter anderem ein Raumschiff. Das alles könnte sowohl im Rahmen des LOP-G-Projekts als auch im Rahmen unseres nationalen Forschungsprogramms verwendet werden“, zeigte sich Kotow überzeugt.
(Quelle: Sputnik Deutschland / Copyright © Sputnik)