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Die Kooperation mit Russland im Weltraumraketenbau wird Europa zur Konkurrenzfähigkeit auf dem Markt für Startdienstleistungen verhelfen.

MOSKAU, 15. Januar (Juri Saizew für RIA Novosti). Russische und europäische Firmen setzen das gemeinsame Projekt „Oural“ zum Bau kosmischer Trägermittel mit einer hohen Tragfähigkeit um. Die Finanzierung dieser Arbeiten erfolgt auf paritätischer Grundlage.

Die Europäische Weltraumbehörde gewährt nach Äußerung ihrer Vertreter den „Durchlass Europas in den Weltraum“. Der ESA gehören gegenwärtig 15 Länder an, darunter Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Großbritannien und Norwegen. Bei den Programmen zur Weltraumerschließung war die Alte Welt lange Zeit hinter den USA zurückgeblieben. In den letzten Jahren hat die ESA jedoch eine Reihe von Maßnahmen zur Festigung ihrer Position ergriffen. Es ist kein Geheimnis, dass das vom USA-Präsidenten vorgeschlagene ambiziöse Programm zur Weltraumerschließung in einem bedeutenden Maße den Ansporn dazu gegeben hatte. Europa, das sich mit einer zweitrangigen Rolle nicht zufrieden geben wollte, hat eine eigene Strategie entwickelt, die unter anderem faktisch eine Verdoppelung der Finanzierung der kosmischen Entwicklungsarbeiten vorsieht. Einer der zentralen Punkte der neuen Konzeption ist der weitere Ausbau der internationalen Zusammenarbeit, vor allem bei der Schaffung perspektivischer Trägermittel, die eine neue Ära in der Weltraumerschließung einleiten sollen.

Derzeit verfügt Europa für die Verwirklichung seiner Weltraumstarts über eine schwere Trägerrakete (Ariane 5), die von Kourou in Französisch-Guayana gestartet wird, sowie über eine mittelschwere Rakete (die russische Sojus), die von Baikonur in Kasachstan gestartet wird. Ende 2006 ist mit dem Bau des Startkomplexes für die Trägerrakete Sojus-ST in Kourou begonnen und eine „heiße“ Prüfstanderprobung der im russischen Keldysch-Zentrum entwickelten Triebwerke für die europäische Kleinrakete Vega durchgeführt worden. Es wird erwartet, dass mit der konsequenten Modernisierung von Ariane und Vega in der nächsten Perspektive die europäische Konkurrenzfähigkeit auf dem Markt für Weltraumstarts gesichert wird. Doch die Globalisierung des Marktes und die immer aktivere Markteinführung chinesischer, indischer und japanischer Trägerraketen zwingen Europa dazu, sich den neuen Realitäten anzupassen. So geht Indien, das früher seine Nachrichtensatelliten mit der Trägerrakete Ariane startete, zur nationalen Rakete GSLV-F2 über. Es ist geplant, die technischen Daten der Rakete (GSLV-D3/Mark-2) zu verbessern und letzten Endes ein analoges Trägermittel als Konkurrenten von Ariane 5 - eine schwere Rakete vom Typ GSLV-D1/Mark-3 - zu entwickeln. Außerdem weist Ariane 5 im Vergleich zu den von ausländischen Konkurrenten angebotenen Mitteln ernsthafte Nachteile auf, die den Auftragsbestand für diese Rakete verringern. Der Hauptkonkurrent Europas in diesem Bereich - so merkwürdig das auf den ersten Blick auch erscheinen mag - ist einer seiner wichtigsten Partner in der Raumfahrt - Russland.

Die neuesten US-amerikanischen Trägerraketen der Typen PH Atlas 5 (mit einem russischen Triebwerk für die erste Stufe) und Delta 4 werden gegenwärtig vorwiegend im Interesse der US-Regierung eingesetzt und beeinflussen den Weltmarkt für Startdienstleistungen nicht. Die amerikanischen kommerziellen Starts erfolgen mit russischen Proton-Raketen und russisch-ukrainischen Raketen Zenit 3SL (Sea Launch) und in einem geringeren Maße mit Ariane 5. Zugleich wurden allein in den vergangenen Jahren mindestens zehn europäische Raumapparate mit russischen Trägerraketen gestartet. Diese Raumapparate konnten nicht mit der Trägerrakete Ariane 5 in den Weltraum befördert werden, denn sie mussten sehr spezifische Laufbahnen erreichen oder die Tragfähigkeit der Rakete erwies sich als ungeeignet in Bezug auf die Hauptnutzlast.

Gegenwärtig werden die auf dem Markt für Weltraumdienstleistungen angebotenen russischen Trägerraketen weiter modernisiert. Im Jahre 2006 wurde der erste kommerzielle Start einer neuen Rakete, Sojus-2, (nach dem Programm „Rus“) durchgeführt. Abgeschlossen wurde die Erprobung eines perspektivischen Flüssigkeitstriebwerkes für die dritte Stufe dieser Rakete. Das soll es ermöglichen, mit dieser Rakete eine fast um eine Tonne schwerere Nutzlast auf eine Umlaufbahn zu bringen. Ihrem Abschluss nähert sich die Entwicklung der Trägerrakete Sojus-3 (Onega) und der schweren Angara-Rakete sowie von Raumfähren und Beschleunigungsblöcken, darunter auch von kryogenen, die mit einem Treibstoffgemisch aus Wasser- und Sauerstoff betrieben werden. In dieser Situation steht Europa vor der zwingenden Notwendigkeit, ein konkurrenzfähiges Trägermittel zu schaffen.

Im März 2005 haben der Chef von Roskosmos (russische Weltraumbehörde), Anatoli Perminow, und der Präsident des französischen Nationalen Zentrums für Weltraumforschung (CNES), Yannick d’Eckatha, ein Abkommen über künftige Trägermittel unterzeichnet. Das Programm „Oural“, das von Frankreich initiiert wurde, aber faktisch zu einem gesamteuropäischen Programm wird, sieht den Bau technologischer Demonstratoren vor, die als Grundlage für die Entwicklung einer neuen Trägerrakete mit einer Tragkraft von 35 Tonnen in Gemeinschaft mit Russland dienen sollen. Zum Vergleich: Die Masse der Nutzlast einer Sojus-Trägerrakete beträgt gegenwärtig rund sieben Tonnen.

Die Europäer haben jetzt gemeinsam mit russischen Fachleuten bereits die äußere Gestalt und die Konzeption des Weltraumsystems „Oural“ so gut wie formiert, das die zurzeit verwendeten Trägerraketen der Typen Sojus und Ariane ablösen soll. Nach Auffassung des russischen Akademiemitglieds Nikolai Anfimow geht es höchstwahrscheinlich um eine Raumfähre. Doch im Hinblick darauf, dass es noch keine fertigen Technologien für den Mehrfacheinsatz gebe, werde die Rakete in nächster Zukunft möglicherweise nur zum Teil mehrwegig und in der ersten Etappe eher einwegig sein.

Am Anfang müssten Demonstratoren für Mehrfach-Stufen der Trägerrakete gebaut und getestet werden. Daraufhin wird der Demonstrator für ein Raumschiff montiert, der die Technologie des Mehrfach-Wärmeschutzes für den Raumapparat bestätigen soll, welcher mit der ersten Weltraumgeschwindigkeit in die Erdatmosphäre treten wird. Bei der nächsten Etappe handelt es sich um die Entwicklung eines bodengestützten Demonstrators für Technologien eines kryogenen Treibstoffbehälters - eines Modells, das schon zweimal wegen der Zerstörung seiner Wärmeisolierungsschicht den Untergang US-amerikanischer Shuttles verursacht hatte. Die abschließende Etappe der Schaffung einer neuen Trägerrakete soll laut Nikolai Anfimow der Bau eines Demontrators für ein Mehrfach-Flüssigkeitstriebwerk bilden, das mit einem Gemisch aus flüssigem Wasserstoff (oder Sauerstoff) und flüssigem Methangas betrieben wird.

Es wird zwar mit einer dreistufigen Rakete gerechnet, aber die Fachleute sind der Ansicht, dass neue Lösungen und neue Materialien, die in den nächsten 15 Jahren erscheinen können, es ermöglichen werden, eine zweistufige Trägerrakete zu entwickeln und dadurch ihren Einheitswert zu verringern.

Beim Projekt „Oural“ handelt es sich um einen Bestandteil des Aufbaus eines neuen Systems von Weltraumstarts, das in der Perspektive - im Zeitraum 2020-2030 - die bestehenden Trägerraketenmodelle ablösen soll. Dies kann als ferne und gleichzeitig als nahe Zukunft aufgefasst werden. Im Bedarfsfall könnten die Europäer Ariane 5 modernisieren, um sie noch eine, möglicherweise auch längere, Zeitlang einsetzen zu können. Aber dies wäre eine provisorische Lösung des Problems. Deshalb ist das Bestreben der Leitung der europäischen Weltraumbehörde, nicht nur ihre Kompetenz bei den modernen Schlüsseltechnologien zu bewahren, sondern auch einen technologischen Durchbruch bei den Systemen der kommenden Generationen aktiv zu fördern, durchaus berechtigt. Dank der internationalen Kooperation Europas mit Russland (das russisch-französische Programm „Oural“ und die Vorbereitung der Starts von Sojus-Trägerraketen in Französisch-Guayana) können beide Seiten noch innerhalb einer längeren Zeit gemeinsam Trägerraketen entwickeln und dabei klare Möglichkeiten für den selbständigen Zugang zum Weltraum beibehalten.

Juri Saizew ist Experte am Institut für Weltraumforschung der Russischen Akademie der Wissenschaften.

 

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