2. Februar 2012. Die Untersuchungskommission zur Klärung des Absturzes der Marssonde Phobos-Grunt hat ihren Bericht vorgelegt, der aber keine Klarheit gebracht hat.
Russiche Raumfahrtexperten sprechen zwar bereits von einer neuen Mars-Mission, doch die Erforschung des Mondes gilt weiter als Priorität, weil dies offenbar einfacher zu bewerkstelligen ist. Die Ursachen der jüngsten Misserfolge in der russischen Raumfahrtbranche werden dadurch jedoch nicht aufgeklärt.
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Allerdings sind die Voraussetzungen für einen neuen Mondflug alles andere als gut. Am Dienstag wurde bekanntgegeben, dass der Absturz der Phobos-Grunt durch eine Computerpanne an Bord verursacht worden sei. Laut einer Version handelt es sich um einen Programmierfehler, laut einer anderen um den negativen Einfluss von geladenen schweren Teilchen.
Die Schlussfolgerungen der Untersuchungskommission sind kaum überzeugend. Zu diesem Thema haben sich schon viele Experten geäußert. Die Marssonde war mit vielen Mängeln behaftet, die Erfolgschancen waren sehr fragwürdig. Alle Beteiligten des Projekts wussten das.
Der Leiter der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Wladimir Popowkin, hatte im Grunde zugegeben, als er sagte, dass ein Risiko bestanden habe, doch die Aussichten auf einen Erfolg es wert gewesen seien.
Heikel daran ist, dass Roskosmos Verpflichtungen gegenüber den ausländischen (chinesischen und europäischen) Partnern hatte. Außerdem war der Start der Marssonde bereits 2009 verschoben worden, als festgestellt wurde, dass Phobos-Grunt noch nicht ausgereift genug war.
Darüber hinaus teilte der Direktor des Weltraumforschungsinstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, Lew Seljony, am Mittwoch auf einer RIA-Novosti-Pressekonferenz mit, dass Phobos-Grunt theoretisch erst wieder 2013 hätte gestartet werden können. Doch dieser Zeitpunkt wäre Experten zufolge noch verfrüht gewesen.
Die Bedingungen für einen Start der Sonde waren einfach nicht gegeben für eine erfolgreiche Mission. Wenn sich in einigen Jahren eine neue Gelegenheit für den Start der Marssonde bieten würde, wären viele ihrer Bordsysteme nicht mehr brauchbar. Die Sonde müsste dann komplett neu entwickelt werden.
Fazit: Phobos-Grunt wurde fertig gebaut und trotz des „vorhandenen Risikos“ gestartet. Der Flug endete jedoch ziemlich abrupt.
Nach dem herben Rückschlag wollen sich die russischen Weltraumforscher auf näher gelegene Ziele konzentrieren. Jetzt nehmen die Forscher verstärkt den Mond ins Visier. Neue Technologien könnten verbessert werden, die für die Mars-Mission nicht gut genug waren.
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Experten haben viele neue Kenntnisse über den Mond gesammelt und ihre Meinung über seinen praktischen Nutzen geändert. Auf den Mondpolen Eis (sprich Wasser) entdeckt: Früher hatte man gedacht, der Mond wäre komplett trocken. „Es stellte sich überraschend heraus, dass der Mond mehr zu bieten hat als Staub, Leere und Ödnis, so Experte Seljony.
Es wird bereits von der Errichtung von Forschungsstationen in den Mond-Polargebieten gesprochen. Das Wasser auf dem Mond könnte diese Aufgabe erleichtern.
Zu diesem Zweck sollte der Mond erst einmal genauer untersucht werden. Russland verfügt über zwei Mondapparate: Luna-Glob (ist für die Suche nach passenden Landeorten in den Polargebieten geeignet) und Luna-Resurs (soll ein indisches Mondfahrzeug transportieren).
Ursprünglich sollten die Mondstationen 2013 bzw. 2014 gestartet werden. Dann wurde der Start auf 2015 vertagt. Nicht zu übersehen ist aber, dass die Computeranlagen für die Mond-Missionen auf der Basis der Phobos-Grunt-Ausrüstung entwickelt wurden, die sich als mangelhaft erwiesen hat.
Das Zeitfenster für den nächsten Mars-Flug im Jahr 2013 wäre sehr ungünstig. Danach würde sich 2016 eine Gelegenheit bieten. Bis dahin müssten die Entwickler ausreichend Zeit für den Bau von neuen Mondstationen haben.
Zwei Forschungsrichtungen würde die russische Raumfahrt alledings nicht verkraften. Deshalb wurde beschlossen, sich an Aufgaben zu machen, die auf den ersten Blick leichter erscheinen.
Die NASA und die ESA planen für die kommenden Jahre ohnehin das gemeinsame Projekt ExoMars, in dessen Rahmen 2016 und 2018 zwei separate Missionen zum Roten Planeten gestartet werden sollen. Einen solchen Wettbewerb mit den „potenziellen Rivalen“ will Roskosmos offenbar aus dem Weg gehen.
Am Dienstag verriet Popowkin, dass seine Behörde derzeit mit der ESA über die Beteiligung am ExoMars-Projekt verhandle. Infrage kommt ihm zufolge russische Forschungsanlagen, mit denen die Europäer versorgt werden sollen.
„Wenn es zu dieser Vereinbarung kommt, dann verschieben wir das Phobos-Projekt, wenn nicht dann, dann werden wir einen neuen Flugversuch zum Mars unternehmen“, so der Roskosmos-Chef. Das bedeutet, dass theoretisch Phobos-Grunt-2 bestenfalls 2017 bzw. 2018 oder noch später gestartet wird, wenn sich die russischen Anlagen für ExoMars als nützlich erweisen sollten. Priorität hat aber der Mondflug.
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Trotz der hehren Pläne in der Mondforschung müssen zunächst einmal die Probleme um die Marssonde gelöst werden.
Die russische Raumfahrt tut sich derzeit schwer. Forscher sind Mangelware. Viele der Fachkräfte sind entweder zu alt oder zu jung und unerfahren. Es mangelt an Experten im Alter von 35 bis 45 Jahren, die bereits Erfahrungen gesammelt haben.
Unerfreulich ist auch die Situation, die der Entwicklungsdirektor des Raumfahrt-Clusters in Skolkowo, Dmitri Paison, delikat als „Erosion der Rechtsbasis“ bezeichnet hat. Das System der Qualitätskontrolle in der Raumfahrtbranche funktioniert nicht mehr. Es ist kein großes Geheimnis, dass Raumsonden mit Anlagen ausgerüstet werden, die kaum geprüft wurden. Viele Vorschriften werden bei der Entwicklung von Raumfahrttechnik vernachlässigt.
Diese Probleme waren bereits vor zehn Jahren offensichtlich, als die „demographische Krise“ in der Raumfahrtbranche bereits zu erkennen war. Viele Jahre mussten die russische Raumfahrt knausern. Als plötzlich wieder Geld in der Kasse war, stellte sich heraus, dass die Raumfahrtunternehmen nicht mehr effizient genug arbeiten. Es handelt sich um einen Systemausfall, der in Wirklichkeit viel schlimmer ist als die Phobos-Grunt-Panne.
Eigentlich müssten einige zuständige Beamte eingestehen, dass die russische Raumfahrtbranche nicht nur Geld, sondern vielmehr Zeit für ihren Umbau braucht. (Auch wenn man bis zuletzt dachte, dass das einzige Problem der russischen Weltraumforschung der Geldmangel und dass sie ansonsten die beste in der Welt wäre.) Das Management sollte sich auf die Umstrukturierung der Raumfahrindustrie konzentrieren und alles tun, um den Nachwuchs zu fördern, der sie in zehn oder 15 Jahren wieder an die Spitze führen könnte.
Dabei muss man ehrlich sagen, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist. Einfache Mitarbeiter werden kaum gelobt, dafür aber umso härter bestraft, wenn ein wichtiges Projekt scheitert.
Obwohl die Verantwortlichen in der russischen Raumfahrt wussten, dass der Start der Mars-Sonde ein Risiko war, haben sie ihren Zeitplan eingehalten, um neue Zuschüsse zu bekommen oder das große Ziel zu erreichen, dass Missionen zum Mars oder der Flug von Raumapparaten erfolgreich gemeistert werden.
Konstantin Bogdanow, RIA Novosti
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.