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Nauen - TELEFUNKEN - Etwas Geheimnisvolles schwebt in der Luft. Rätselhaftes am Himmel über der märkischen Landschaft um 1900. Im Äther bisher völlig Unbekanntes, Unsichtbares aus einer anderen Welt oder vielmehr einer neuen Technik, im damals neuen Jahrhundert: Funkwellen.

nauenSie verbinden plötzlich sekundenschnell die entferntesten Orte auf dieser Erde. Über Ozeane hinweg, die grosse weite Welt wird dadurch zusammengerückt. New York - Tokio - Shanghai - Paris - St. Petersburg - London. Die Welt wird zu einem globalen Dorf.

Ein Begriff kreist um die Erde, auf deutsch: drahtlos, auf englisch: wireless. Ein knallharter Konkurrenzkampf beginnt.

Nauen bei Berlin, 35 km vor der Stadt, wird zum weltbekannten Symbol deutscher Erfinder- und Unternehmergeistes, des zum Markenzeichen technisch, ökonomischen und imperialen Expandierens. Mit riesigen Antennenwäldern beginnt in Nauen die drahtlose Überwindung von Zeit und Raum für das zwanzigste Jahrhundert. Nauen macht Weltgeschichte, dennoch dauern Nachrichten rund um die Erde, dank Telegraphendrähte und Seekabel, 24 Stunden.

An den Brandenburger Seen bei Sakrow experimentierten Professor Dr. Slaby und Graf von Arco an einer blitzschnellen Methode, kabellos Nachrichten, dank CW durch die Luft zu senden. Im Juli 1897 gelang den beiden dies erstmals öber 1,5 km. Sie wagten es, das verblüffende Experiment dem Kaiser vorzuführen. Der Kaiser war begeistert.

Ausflügler und technisch Interessierte fuhren noch in den 20er Jahren nach Sakrow.

Die Eroberung des Äthers wurde schnell auch zum Kampf über den Äther, zum Kampf um die stärksten Sender und präzisesten Empfänger. Zur gleichen Zeit experimentierte auch der Italiener Marconi mit Spulen aus Draht. Sein Ziel, 2,4 km durch den Äther zu senden, gelang ihm sogar. 1909 bekam er dafür den Nobelpreis für Physik. 1897 wurde seine Idee als britisches Patent registriert, nachdem er in Italien bei der Marine vorstellig wurde, die aber die Tragweite seiner Erfindung nicht erkannte. Marconi verliess nun Italien und zog nach London. Bei Spaziergängen im nahe gelegenen Kensington Park überlegte er, wie es sich erreichen liesse, weiter, ja sogar endlos weit zu funken. 1897 gelangt ihm eine Distanz von 5 km zu überbrücken. Auch Professor Slaby von der deutschen Konkurrenz wurde zu dieser Demonstration eingeladen und lernt dadurch, dass man vertikale Antennen benötigt, um grössere Entfernungen zu überbrücken. 1899 greift Marconi erstmals über die Entfernung des Ärmelkanals. Nachdem diese Reichweite von 51 km zum Erfolg führte, war der Griff nach Übersee nur noch eine Frage der Zeit. Da ein Orkan die Sendeanlagen an der britischen Atlantikküste zerstörte, wurde unverbissen neu aufgebaut. Am 12. Januar 1901, gegen 12 Uhr mittags, kam eine drahtlose Verbindung zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Festland zustande, eine Distanz von 2800 km. Die Frage war die ganze Zeit gewesen: Würden die drahtlosen Wellen durch die Erdkrümmung gestoppt werden? Nun war absolut sicher, dass eines Tages jeder x-beliebige Ort dieser Erde drahtlos erreichbar sein würde.

In Nauen, erst 5 Jahre später, wird 1906 zur grossen Aufholjagd gegen Marconis Vorsprung angesetzt mit Unterstützung des deutschen Kaisers. Sein Blick richtete sich stets auf technische Erneuerungen und Erfindungen. Wilhelm II, veranlasste, dass die beiden konkurrierenden Firmen SIEMENS und AEG, zusammenarbeiten, um nun vereint zu entwickeln. Als SIEMENS und AEG 1903 die Firma TELEFUNKEN, Gesellschaft für drahtlose Telegraphie gründeten, war das auch die Weichenstellung im Kampf gegen die Konkurrenz des vorherrschenden Marconi-Monopols. TELEFUNKEN wird zu einer Aktiengesellschaft. Der Kaiser erhält 4%, SIEMENS und AEG jeweils 48% der Aktien. Graf von Arco wird erster Direktor. Nach dem Forschen und Experimentieren beginnt nun die Planung. Die Wahl eines geeigneten Geländes im Umland von Berlin fällt auf ein 40 Hektar grosses Gelände, welches für "einen Apfel und Ei" gepachtet wurde. Der Boden war nass, was unter Umständen auch die Ausbreitungsbedingungen verbesserte. Im April 1906 beginnt der Bau der Grosssendeanlage in Nauen. 1911 ragt der höchste Funkantennenmast 100 m hoch in den Brandenburger Himmel. Auch der Kaiser lässt sich ständig unterrichten und nimmt die Grossfunkstellen in Augenschein. Die Funkenfolge wird von 30 auf 1000 pro Sekunde, die Sendeleistung auf 4kW und die Reichweite auf 400 km erhöht.

Auch Chanceford, 30 km östlich von London, wird drahtlos Geschichte machen, da es Stammsitz der Marconi-Gesellschaft wird. Marconi will erreichen, seine Geräte weltweit zu verbreiten. 1902 haben 70 Schiffe und 2 Landstationen Marconis Geräte installiert. 8 Jahre später sind schon 250, und zu Beginn des ersten Weltkrieges 400 Schiffe seiner Technik an Bord.

Die neue Funktechnik kommt erstmals effektiv in der berühmten Seeschlacht von Suchiema zum Einsatz. Der russische Flottenadmiral verhängt eine Funksperre. Die Japaner dagegen trommeln alle ihre Schiffe zusammen und schlagen die überlegene russische Flotte.

In Nauen erhöht man die Sendeleistung durch ein neues Funkensystem und damit auch ihre Reichweite auf 4600km. 1912 reisst ein schwerer Sturm den 200m hohen Mast um, der schleunigst wieder aufgebaut wurde. Als wichtigster Punkt auf dem afrikanischen Kontinent wird 1912 Camiena im westafrikanischen Togo, 5400km von Nauen entfernt. Da die südwest-afrikanische Besitzung funktechnisch noch nicht erreicht werden kann, übernimmt die Station in Camiena die drahtlose Weiterleitung bis Windhook, 9200 km von Nauen entfernt. So wird Nauen zur wichtigsten Schaltzentrale der kaiserlichen Kolonialpolitik.

In Nauen werden durch fliegende Funkstationen (Zeppeline) Nachrichten über Kontinente und Meere übertragen.

Marconis Vormachtstellung zwingt die Deutschen unaufhörlich, die eigene Entwicklung voran zu treiben. 1911 sind 150 deutsche Schiffe, 1914 470 Schiffe mit TELEFUNKEN-Technik ausgerüstet. 1913 werden bereits 26.855 Funktelegramme bearbeitet und Nauen ist in 10000km Entfernung zu empfangen.

1912 folgt Scotland Yard in seine Fussspuren, die erste Verbrecherjagd über den Äther beginnt. Gesucht wird der Londoner Frauenmörder, der mit Hilfe von Funk im Ankunftshafen völlig überraschend verhaftet und auf der Gangway abgeführt wird.

Nauen ist mittlerweile zur grössten Sendestation Europas herangewachsen und wird seit Beginn des ersten Weltkrieges zum Hauptziel militärischen Abhörens. So wird z. B. bekannt, dass Deutschland England am nächsten Tag den Krieg erklärt und England dadurch Zeit hat, die Seekabel zu kappen. So ist Deutschland schon 4 Tage nach Kriegsbeginn nachrichtentechnisch taub und stumm und muss den gesamten Funkverkehr drahtlos über Nauen abwickeln. Auch die Deutschen schicken ihre Funker an die Abhörfront. Die Russen senden unbekümmert Aufmarschpläne im Klartext. Die Deutschen sind so stets im Bilde, als hätten sie einen Spion im feindlichen Lager. Sogar in Paris musste das Wahrzeichen, der 300 m hohe Eifelturm als Antennenmast herhalten. Die französische Abhörstation fängt die verschlüsselte Gespäche des deutschen Geheimdienstes auf. Dadurch wird die bekannte deutsche Spionin Mata Hari entlarvt und erschossen.

1913 errichtet TELEFUNKEN in Long Island, nur 40 km entfernt von New York, Nauen 2, die grosse Funkgegenstation zu Nauen mit leistungsstarken Sendern. Doch auch hier war Marconi schon vorher da. Seit Kriegsbeginn wird die TELEFUNKEN-Station auf amerikanischem Boden von den Deutschen auch für verbotene Geheimnachrichten benutzt. Mit technischer Raffinesse umgehen die Deutschen die amerikanische Anweisung nur im Klartext zu funken, indem sie High-Speed funken, was die Amerikaner noch nicht lesen können. So wird der Ozeanriese "Lucietanic" aus New York, vollgepackt mit Munition am 7. Mai 1915 versenkt. 1198 Männer, Frauen und Kinder finden den Tod, eine der grössten Kriegskatastrophen.

Als nach dem Krieg, am 23. Juni 1919, Nauen die Anfrage erhielt: "Wollen sie Handelstelegramme aufnehmen?" schien der Bann gebrochen zu sein. Am gleichen Tag antwortete Nauen: "Ab sofort gilt BUSINESS as USUAL". Nauen wird zum internationalen Anziehungspunkt aller am Handel Interessierter. Das Gästebuch nennt Besucher aus St. Petersburg, London, Paris, Zürich, Tokio und New York. Auch Vertreter der amerikanischen Grosskonzerne und Gesandte aus Schweden sind vertreten.

hausSendehaus1918 wurde in Nauen die Grosssendestation in die neu gegründete TELEFUNKEN-Tochtergesellschaft TRANSRADIO AG für Daten zum Überseefunk eingebracht. 1919 nimmt TRANSRADIO die frühere weltweiten Verbindungen wieder auf, da Nauen nun weltweit zu hören ist. 1920 wird das grosse Sendehaus, nach Plänen des Architekten Motivius eingeweiht. TELEFUNKEN schliesst nun mit den Weltfirmen der ehemaligen Kriegsgegner Verträge zum Austausch von Patenten ab. Nauen ist nun die grösste Nachrichtenantennenstation auf dem europäischen Festland.

Heute erinnert nichts mehr an die Tage der Anfänge, nichts mehr an den Konkurrenzkampf zwischen TELEFUNKEN und Marconi. Die Welt um Nauen im Kontrollraum heute: Von hier werden mit modernster Kurzwellentechnik deutsche Hörfunkprogramme rund um die Erde gesendet. Ferngesteuerte Drehantennen aus Frankreich, High-Tec-Abstimmungs-Variometer und wassergekühlte Hochleistungssender wie ehedem von TELEFUNKEN. Das zum Ende des 20ten Jahrhunderts heute entfernte Zeichen über Sateliten-Stationen, Richtfunkstrecken und digitalen Nachrichtennetze, die Steuerbefehle an die scheinbar ins Unendliche des Universums triftendenen astrophysikalischen fliegenden Teleskope, der Weg zu den fernsten Sternen. Dafür war Nauen auch ein Ort des Anfangs für schier unendliche Entdeckungen.

(Quelle: Berlin-Brandenburg-Rundspruch 52/99)

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